Hörvergnügen mit Williams-Walton-Elgar

Das Sinfonieorchester Wuppertal mit dem 2. Sinfoniekonzert der 161. Saison

von Johannes Vesper

Foto © Johannes Vesper

Enigma: Williams-Walton-Elgar
 
Das Sinfonieorchester Wuppertal mit dem 2. Sinfoniekonzert der 161. Saison
 
Von Johannes Vesper
 
Erst die Beatles mit ihren Liedern haben die britische Musik weltbekannt gemacht. Tatsächlich hatte es die Musik auf der Insel nicht immer leicht. Die klassische englische Musik riß nach John Dowland (gest. 1626) und dem frühen Tod Henry Purcells - er starb mit 35 Jahren 1694 - erst einmal ab. Zwar schätzte man dort immer kontinentale Musiker. Händel, Haydn, Johann Christian Bach haben das englische Musikleben im 18. Jahrhundert geprägt. Mendelssohn hat zehnmal England besucht, Auch Richard Wagner hatte als Dirigent und Komponist seine Fans in England. Aber erst mit der Musik Edward Elgars (1857-1902) nahm englische sinfonische Orchestermusik Fahrt auf und zwar mit der Uraufführung seiner „Enigma-Variationen“ 1899. Und erst im November 1910 gab es erstmalig in der Geschichte der Royal Philharmonic Society ein Konzert mit Musik ausschließlich englischer Komponisten. Edward Elgar, inzwischen geadelt (1904), war damals natürlich dabei, wie auch bei dem jetzigen Konzert des Sinfonieorchesters Wuppertal, welches ebenfalls mit einem rein englischen Programm das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum beeindruckt hat.
 
Zu Beginn erklang das orchestrale Wespensummen und Brummen Ralph Vaughan Williams. Aus anhaltendem, sich bald dynamisch auf und ab bewegendem Unisonotriller des ganzen Orchesters, welches phantasievoll und raffiniert quinquilierte, entwickelte sich onomatopoetisch „The Wasps“, die volkstümliche Ouvertüre zur Komödie des Aristophanes, in der Justiz und Juristen satirisch karikiert werden, mit deren spitzem Griffel der unangenehme Wespenstachel assoziiert werden kann. Diese populäre Schauspielmusik entstand 1909 für eine Aufführung in Cambridge. Nach einem Schlag des gesamten Orchesters grummeln und wummern mit den Kontrabässen dann unter dem schwungvollen, deutlichen, inspirierenden Dirigat von Jesko Sirvend eher Hummeln los. Bei ihrer konventionellen Harmonik und musikantischen Thematik paßt diese englische Musik nicht zur Entwicklung der Atonalität von Schönberg und Berg in Wien, gefiel aber zunehmend dem damaligen englischen und auch dem heutigen Wuppertaler Publikum. Jesko Sirvend gab sein deutsches Opern-Debüt 2019 in Chemnitz, hat 2022 den Jewgeni Swetlanow Dirigierwettbewerb in Monaco gewonnen, hat mit den Bochumer Sinfonikern musiziert, in Monaco den „Wozzeck“ dirigiert und ist als Gastdirigent in Europa hoch geschätzt. Nach seinem Studium in den Fächern Schlagzeug und Klavier am Hochschen Konservatorium in Frankfurt hat er Dirigieren an der HfMT Köln studiert. Er vertrat in diesem Konzert (Debüt hier) den ursprünglich dafür vorgesehenen Jonathan Darlington.
 

Jesko Sirvend am Pult - Foto © Johannes Vesper

Das Violakonzert von William Walton (1902-1982) entstand 1928. Paul Hindemith hatte es 1929 uraufgeführt. Es gilt als das erste Bratschenkonzert des 20. Jahrhunderts, wobei die Bratsche/Viola als Soloinstrument schon knapp 10 Jahre zuvor von Rebecca Clarke mit einer Sonate für Bratsche und Klavier bedacht worden war (kürzlich hier zu hören gewesen). Mit verhaltenden Streichern beginnt der erste Satz, bevor im Zwiegespräch mit Oboe, Klarinette oder Horn sich die Solobratsche des lyrisch-gesanglichen Hauptthemas annimmt. Der wunderbare Klang der Bratsche von Timothy Ridout (Peregrino di Zanetto ca. 1570) entwickelt sich in der Tiefe tragend, sonor, erdig, leicht rauchig, in der Höhe klar und seidig wie eine Violine. Spät romantisch ohne Tendenz zu Atonalität, gelegentlich an die Musik von Paul Dukas (Zauberlehrling) erinnernd, entwickelte sich der Satz, nur gelegentlich von dynamischen Ausbrüchen unterbrochen und endet nach doppelgriffiger Zweistimmigkeit mit einem lang ausgehaltenen letzten Bratschenton im Pianissimo. Hochvirtuos im Sinne eines sehr lebhaften Scherzos saust dann der 2. Satz los, in dem sich der souveräne Bratschist unverdrossen und abartig schnell durch das nie zu leise Riesenorchester durchsägte und sich auch gegen schnelle Harfenarpeggien durchsetzte. Dann war plötzlich der Satz zu Ende. Der letzte Satz beginnt mit komisch-vergnüglichem Fagottsolo. Immer wieder musiziert die Solobratsche mit der Klarinette, mit dem Horn. Herrlich klang die Viola zu tiefem, leisem, ruhig stehenden Posaunenklang. Eine blechdominierte Apotheose brach bald in sich zusammen und nach letzter Zwiesprache mit dem Solocello und Generalpause verklang die Bratsche in harmonisch unbestimmtem Ende. Großer Applaus. Das Publikum war im Gegensatz zum englischen Königshaus, welches den Komponisten erst 20 Jahre später in den Adelstand (1951) erhoben hat, begeistert und erklatschte sich eine Zugabe (aus der Fantasie Nr. 1 für Solobratsche von Georg Philipp Telemann), bei der sich Virtuosität wie  Souveränität des jungen Timothy Ridout (geb. 1995 in London) und der herrliche Violenklang noch einmal voll entfaltet hat. 
 
Die Enigma-Variationen „habe…ich mit den Spitznamen einiger besonderer Freunde überschrieben“, schrieb Elgar an seinen Freund. Die 9. Variation nannte er „Nimrod“ nach dem altorientalischen mythologischen Helden, König und Jäger und setzte damit einem seiner besten Freunde, dem aus Düsseldorf stammenden englischen Musikverleger August Johannes Jäger ein tönendes Denkmal. Die Kenntnis der anderen musikalisch charakterisierten Freunde ist für das Hörvergnügen nicht eigentlich von Bedeutung. Vielleicht handelte es sich auch um ein Psychogramm des Komponisten selbst. Jedenfalls entwickelte sich unter dem auswendig dirigierendem Jesko Sirvend große Sinfonik. Polternd laut, cholerisch, elegisch, zornig, ernst und weitere Eigenschaften des Charakters werden hier musikalisch ausgedeutet. Sehr eindrucksvoll wurde der Pianissimo-Übergang im Nichts zwischen 8. Und 9. Variation ausgestaltet. Ob choralartig mit großen dynamischen Gegensätzen oder auch leicht banal (Solobratsche zu dahin getupften Holzbläsern -Variation 10 „Dorabella“- oder Klarinette zum Rührbesen des Schlagzeugs) musiziert wurde, immer suchte der Dirigent den Kontakt mit den Instrumentalisten. Das Ganze endete mit Blechfanfaren im Allegro-Presto der 14. Variation. Stehende Ovationen, Blumen gab es für den Dirigenten, Einzelapplaus für die Solisten im Orchester. In Wuppertal konnte nachvollzogen werden, daß diese Charaktervariationen Edward Elgars den Ruhm und die Popularität dieses Komponisten begründet haben (neben „Pomp and Circumstance“).  
 
Sinfonieorchester Wuppertal, So. 08.10.2023 11 Uhr – Wiederholung: Montag 09.10, 2023 20 Uhr Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal. Timothy Ridout, Viola, Sinfonieorchester Wuppertal, Jesko Sirvend Dirigent. Ralph Vaughan Williams (1872-2958: Ouvertüre zu „The Wasps“, William Walton (1902-1983) Violakonzert a-Moll 1. Andante comodo, 2. Vivo, con molto preciso, 3 Allegro moderato. Edward Elgar (1857-1934) Enigma Variationen. Thema und 14 Variationen (op. 36)